19. Juni - 19.Juli 2020
Kuratiert von Susanne Wedewer-Pampus
Kunstverein Leverkusen Schloss Morsbroich e. V.
Gustav-Heinemann-Str. 80
D - 51377 Leverkusen
Fotos: Achim Kukulies
Birgit Jensen MONDE
„Meine Bilder sind Malerei, ohne dass ich male.“ Dieses Statement der Künstlerin Birgit Jensen mag zunächst einmal verwundern, mutet doch gerade die Reihe ihrer Landschaften auf den ersten Blick sehr malerisch an. Birgit Jensen sieht sich denn auch durchaus in der Tradition der Landschaftsmalerei, markiert mit ihren Arbeiten – ob im klassischen Sinne gemalt oder nicht – einen markanten Punkt innerhalb der Entwicklung dieses kunsthistorischen Genres. Doch Schritt für Schritt.
Rufen wir uns zunächst kurz ins Gedächtnis, dass sich in der Landschaftsmalerei einer jeden Epoche der Wandel des äußerst ambivalenten Verhältnisses von Natur, Landschaft als von Menschen gestalteter Natur und Mensch wieder spiegelt. Begriffe wie Arkadien, Idylle, Utopie und Entleerung beziehungsweise Verdinglichung stecken im Groben den kunsthistorischen Rahmen dieses Themas ab, das in der Kunst nach 1945 zunächst keine Rolle mehr spielte. Erst zu Beginn der 1960er Jahre taucht Landschaft in den Bildern der Pop-Art wieder auf – im Hintergrund, wie ein Klischee ihrer selbst, zur Verfügung gestellt für den freien Konsum wie andere Dinge auch. Gleichwohl dient Landschaft selbst in ihrem bruchstückhaften Auftreten auch heute noch – für den von außen kommenden – als Ruhepunkt und Fluchtraum, als Gegenentwurf zu dem, was Leben in der Stadt ausmacht. Letztlich also als jener Ort, der sich trotz all seiner Künstlichkeit nach wie vor anbietet als Projektionsfläche unserer Sehnsüchte nach der Wiederherstellung der einstigen, schon lange verlorenen Ganzheit von Mensch und Natur.
In ihren zum Teil großformatigen Bildern reflektiert Birgit Jensen diese tradierte Funktion von Landschaft als metaphysische Transformation in einer Zeit, in der unser Lebensraum zum Teil dramatischen Veränderungen unterworfen ist und zugleich die fortschreitende Digitalisierung unsere Wahrnehmung stetig verändert. Diese Veränderung hat sie immer schon interessiert, die Frage nach dem, was technologische Entwicklung mit unserer Gesellschaft macht.
Schon früh hat die Malerin die Technik des Siebdrucks für ihre Arbeit entdeckt. Sie entwickelt eigene Rasterformen, indem sie auch den Computer als ästhetisches Werkzeug nutzt. Birgit Jensen greift auf diese unterschiedlichen Medien zurück, setzt die verschiedenen drucktechnischen Möglichkeiten ein, um ihre Bilder auf Leinwand zu „bauen“, zu montieren, immer wieder neue Bild- und Farbräume zu konstruieren. Für ihre Landschaften, die seit 2015 entstehen, ließ sie sich darüber hinaus vom japanischen Holzschnitt des 19. Jahrhunderts inspirieren, dessen Hauptcharakteristika bekanntermaßen sowohl das Fehlen von Perspektive bzw. eines eindeutigen Bildmittelpunktes sind als auch farbig gefüllte oder leer gelassene Flächen.
So setzt Birgit Jensen ihre mit MONDE betitelten Landschaftsdarstellungen zusammen aus hinter-, neben- und übereinander gestaffelten Formen, Flächen und Elementen aus dem „Repertoire Landschaft“. Aus fotografisch abbildhaften Bestandteilen und artifiziellen, malerisch poetischen. Aus eindeutig Erkennbarem wie einem See, der ihn umgebenden Vegetation und der wiederkehrenden runden Scheibe als einem Bildelement, das wir willig als MOND oder Sonne erkennen.
Die Farbigkeit jeder einzelnen Szenerie gehorcht dabei allein malerischen Überlegungen, einer komplexen innerbildlichen Logik. Die dadurch entstehende Ebene der Abstraktion erlaubt der Malerin, Bildatmosphäre und -emotion immer wieder aufs Neue zu bestimmen und zugleich jede einzelne dieser Landschafts-Konstrukte in eine irritierende Kühle und Künstlichkeit zu tauchen. Getragen wird dieser Eindruck von der bei näherer Betrachtung klar lesbaren Rasterung des Siebdrucks als der technischen Seite ihrer Montage.
An diesem Punkt können wir uns nicht länger in das malerisch poetische ihrer Landschaftsdarstellungen flüchten und müssen erkennen, dass wir Wahrnehmungsmustern gefolgt sind, „... wie sie“, so Dirk Steimann in einem Text zu u. a. den Arbeiten von Birgit Jensen, „beim Entschlüsseln visueller Codes eine Rolle spielen.“ (1) Um die Offenlegung dieser Wahrnehmungsmuster geht es der Malerin, um das Aufzeigen der Manipulierbarkeit und Beeinflussung des Wahrnehmungsvorgangs. Indem sie uns See, Vegetation und Mond/Sonne „gibt“, versorgt sie uns mit dem Code Fluchtraum, Sehnsuchtsort. Und dieser funktioniert sichtbar verlässlich, denn diese Landschaften setzen sich zusammen aus sehr bewusst gewählten Versatzstücken, zitiert, um mit Erinnerungen gefüllt zu werden. Unabhängig davon, ob diese noch Teil der analog erlebten oder schon Bestandteil der digitalen Welt sind. Würde dies überhaupt einen Unterschied machen?
In früheren Zeiten hatten Bilder ihren Ort, ihren klaren Kontext und ihre Botschaft. Heute hingegen behaupten sie ihre Mächtigkeit vor allem durch ihre Gleichzeitigkeit und unübersichtliche Fülle, ihre Vielfalt und das häufige Losgelöstsein von bedeutungsstiftenden Zusammenhängen. Auch die von Birgit Jensen sorgfältig montierten Landschaftsausschnitte bezeichnen keinen Ort und keine Zeit und doch stehen die MONDE – le monde, französisch für „Die Welt“ – bei all ihrer komponierten Künstlichkeit klar in der anfangs erwähnten Tradition der Landschaftsdarstellung, wie sie sich vielleicht fortschreiben lässt auch in der Welt der virtuellen Realität.
Denn, wie es die Schriftstellerin und Malerin Etel Adnan in ihren Betrachtungen über den Mount Tamalpais im Norden Kaliforniens notiert, “der eigentliche Raum eines Bildes – seine wahre Dimension – ist der Raum der Erinnerung. Wenn unsere Augen geschlossen sind, haben die größten Flächen auf wenigen Zentimetern Platz. Wir malen sie auf eine Leinwand, und die verweist unsere Erinnerung dann wieder auf die Welt im Großen.“ (2) Und diese „Welt im Großen“, sie umschließt beide, die analog vorhandene und die am Computer erdachte, irgendwann vielleicht ohne Unterschied, ohne erkennbare Unterscheidungsmerkmale.
Susanne Wedewer-Pampus
Februar 2020
(1) Dirk Steimann, Landschaftsparaphrasen, Rowena Dring - Sven Drühl - Eberhard Havekost - Birgit Jensen in: Landschaftsparaphrasen, Katalogbuch Gladbeck, Emsdetten, Solingen-Gräfrath 2005, 2006, Hrsg. Dirk Steimann, Salon Verlag 2005
(2) Etel Adnan, Reise zum Mount Tamalpais, Dt.sprachige Ausgabe Hamburg 2007, S. 42
Birgit Jensen MONDE / MOONS
‘My pictures are painting without my doing so’. – In view of the distinct painterliness of her landscape series at first impression, we might be forgiven for stopping twice at this statement; the more so given her own self-perception as being firmly in the tradition of landscape painting. Birgit Jensen´s works, regardless of whether they are painted in the classical sense or not, mark a striking juncture in development of that art-historical genre. But one step at a time.
A datum to be borne in mind: the landscape painting of any given era will reflect the relationship, ambivalent as it so patently is, between nature, landscape as nature shaped by human hand, and the human individuals who perceive it. Concepts such as Arcadia, the idyll, Utopia or then again, its reduction to a vacuous and at best monetised, commodified non-entity, broadly circumscribe the art-historical frame of this subject, which initially at least, ceased to be a serious factor in art after 1945. It was only in the early 1960s that landscape would re-emerge in the images of Pop Art: supplied in the background, as it were a cliché of itself for the consuming at will, just as other things were. Even so and even in its fragmented manifestation, at least for those who come to it from outside landscape continues to represent a place of respite and refuge, a scheme counter to what makes up life in the city; ultimately, then, that place which for all its artificiality is a canvas primed for our yearnings for the restoration of a oneness of humankind and nature, as was, long lost.
With changes to our habitat becoming dramatic, and in parallel, progressive digitisation constantly altering our perception, it is that received function of landscape as metaphysical transformation that Jensen ponders on an occasionally literally large canvas. It is a change that has always fascinated her – the question as to what technological development is doing to our society.
Screen printing is a technique that this painter discovered for her work early in her career. Including the computer in her array of aesthetic instruments enhances the development of her own forms of screen or grid. Jensen’s recourse to these diverse media allows her to deploy the different printmaking options to ‘build’ her images on canvas, to mount them, repeatedly constructing new pictorial and chromatic spaces. For her landscapes, which have come about since 2015, nineteenth-century Japanese woodcuts have also been an inspiration – their most salient feature being both the lack of perspective or rather, a distinct central point in the picture, and the surfaces rendered as planes of colour or left blank.
Thus Jensen assembles her images of landscape, which she entitles MONDE (Moons), out of forms, surfaces and elements from the ‘landscape repertory’, stacked and staggered one behind the other, next to the other or over the other, out of photographic images, illustrative as it were, and others that are artificial, poetic through their painterliness; out of clearly recognisable matter such as a lake, the vegetation bordering it and the recurring round disk as a pictorial element that we soon enough read as either MOON or sun.
The palette of each individual scene in this scheme is governed only by painterly considerations, by a complex logic completely the picture’s own. The plane of abstraction thus generated allows the painter to set the pictorial atmosphere and mood anew freely, continually and at the same time to steep each of these landscape constructs in an undermining sense of detachment and artificiality. That impression is reinforced by the grain of the screen print, easily made out from close up, the technological characteristic of her montage.
At which point we can no longer escape into the painterly lyricism of her landscape images and are forced to acknowledge that we have been following perceptual patterns ‘such as come into play’, as Dirk Steimann observes in a text on works including Birgit Jensen’s, ‘in the deciphering of visual codes.’ To lay bare these patterns of perception is this painter’s concern – to spotlight the manipulability of and the influence exercised on the process of perception. By ‘giving’ us a lake, vegetation and moon/sun, she hands us the codes for Refuge and Place of Longing. They can be manifestly relied upon to work, for the landscapes are composed of very deliberately chosen props no sooner quoted than they become replete with memory – irrespective of whether such memories are still part of the world of analogue experience or already a constituent of the digital world. And would their being one or the other make any difference at all?
Times were when pictures had their place, their context was plain and their message clear. Today they assert their might above all by their simultaneity and blinding multitude, their diversity and frequently, their foundering free of any meaningful contexts. Birgit Jensen’s judiciously mounted slices of landscape designate neither place nor time, and yet – read German for moons, French for ‘the world’ – the MONDE, no matter how artificially composed, self-evidently come in the tradition of landscape depiction mentioned by way of introduction and as might be continued today in the world of reality virtual or otherwise.
For, to paraphrase the writer and painter Etel Adnan musing on ‘her’ Mount Tamalpais in Northern California, the true, essential space of a picture is that of memory and behind closed eyes a real space of maybe less than a square inch will accommodate vast planes: paint them on a canvas and they will, in turn, direct memory back to the big world outside. That big world comprises both, the one at large in analogue reality and that conceived at the computer screen, at some time in the future possibly without differentiation between them, without any mutually distinguishing features.
Susanne Wedewer-Pampus
February 2020
Translation by Stephen Reader
(1) Dirk Steimann, ‘Landschaftsparaphrasen, Rowena Dring – Sven Drühl – Eberhard Havekost – Birgit Jensen’ in Landschaftspara phrasen, catalogue accompanying the exhibition at Gladbeck, Emsdetten, SolingenGräfrath, 2005, 2006, ed. Dirk Steimann (Cologne: Salon Verlag, 2005) p. 9
(2) Etel Adnan, Journey to Mount Tamalpais (Sausalito: The Post Apollo Press, 1986), here paraphrased after the German language edn (E.T., Reise zum Mount Tamalpais; trans. Klaudia Ruschkowski, Hamburg, 2007) p. 42