Berlin
Birgit, vor 30 Jahren starb Andy Warhol. Er hat den Siebdruck in der Kunst etabliert. Inwiefern beeinflusst Warhol deine Arbeit ?
Wie Warhol benutze ich ein Sieb, um ein Bildmotiv auf die Leinwand zu bringen. Wir beide verwenden für unsere Kunst ein technisches Verfahren, das eine ganz eigene Ästhetik in das Bild hineinbringt. In den 60er Jahren war das revolutionär. Die Kunst wurde vom abstrakten Expressionismus beherrscht, eine als elitär geltende Malerei. Und zum anderen wurden mit rasant steigendem Wohlstand handwerkliche Tätigkeiten immer mehr als niedere Tätigkeiten angesehen. Warhol hat das sichtbar Handgemachte aus dem Bild verbannt. Seine Arbeiten wirken makellos und distanziert. Er wollte hinter dem Bild verschwinden. Mir geht es beim Siebdruck eher um seine ästhetische Qualität. Einerseits wird damit ein homogener, brillanter Farbauftrag auf die Leinwand ermöglicht, andererseits lässt mir das Verfahren so viel Spielraum, dass man sich fragt, wie ist das gemacht? Wie Warhol möchte ich den Duktus eines Pinsels auf der Leinwand nicht sehen.
Aber dennoch bist Du Malerin?
Ja, natürlich. Der Akt des Malens findet bei mir nur nicht mit dem Pinsel statt, sondern mit der Rakel und in der Druckvorstufe, zum Beispiel beim Herstellen der Filme und beim Auftragen der Farbe durch das Sieb auf die Leinwand.
Worin liegen die Unterschiede zu Warhols Arbeiten und deinen?
Warhol stellte mit seiner massenhaften Vervielfältigung das Original und dessen „Wert“ in Frage. Er benutzte den Siebdruck auch, um die Kunst für die Masse zugänglich zu machen, ähnlich, wie das zu seiner Zeit bei Konsumgütern der Fall war. Die Möglichkeit der Vervielfältigung war ein Segen und Ausdruck von Demokratie. Die Frage nach dem Original stellt sich heute ganz anders. Durch die Digitalisierung, Perfektionierung und Professionalisierung von Reproduktionstechniken ist eine Umkehr eingetreten. Die digitale Entwicklung hat unseren Blickwinkel verändert. Wir schauen aus genau der entgegengesetzten Richtung auf die technischen Errungenschaften als in den 60ger Jahren. Wir sind kritischer, wir können andererseits viel mehr machen, viel schneller, wir sind extrem vernetzt, wir haben einen riesigen Pool von Möglichkeiten. Für mich ist es daher eine Notwendigkeit, meinen Arbeiten die Perfektion der technischen Reproduktion wieder abzunehmen.
Wie äußert sich das in deiner Arbeit konkret?
Ich benutze den Siebdruck nicht als Vervielfältigungsinstrument. Jedes Bild ist ein Unikat. Hier zeigt sich auch, dass das Bild letztlich das Ergebnis eines malerischen Aktes ist. Mir ist die subtile Ästhetik meiner Arbeiten wichtig. Es werden wie in der Malerei Schichten übereinander gelegt, wodurch eine eigene Bildtiefe entsteht. Es gibt unterschiedlich anmutende Oberflächenqualitäten. Meine Bilder sind keine technischen Siebdrucke und keine Grafikerzeugnisse. Sie handeln von den Problem- und Fragestellungen der Malerei.
Abstufungen in der Farbe werden oft durch Raster erzeugt. Druckraster kennt man noch von grob gedruckten Abbildungen in Tageszeitungen, aber mittlerweile kann man die Rasterpunkte aufgrund ihrer winzigen Größe nicht mehr mit dem bloßen Auge sehen. Auf meinen Bildern sind sie dagegen riesig. Sie sind nicht allein dazu da, um die Farbe zu modellieren, sondern auch um die Transformation sichtbar zu machen, der das Bildmotiv unterzogen wird. Sie verweisen auf das Konzept, das meine Auseinandersetzung mit der Malerei bestimmt.
Welche Rolle spielt Farbe?
Eine ganz entscheidende Rolle. Farbe ist ein tragendes Element in der Komposition. Sie bestimmt die „Tonart“ des Bildes. Farbe ist nicht nur Material, sondern auch Emotion. Auch Warhol setzte gezielt die psychologische Wirkung von Farben und Farbkompositionen ein. Dadurch steuerte er die Attraktivität des Bildmotivs für den Betrachter. Man denke nur an seine Portraits prominenter Personen. Er konnte mit der Farbkombination die inhaltliche Aussage manipulieren - hier soll z.B. das Portrait von Richard Nixon genannt werden, dem Warhol fast schon toxisch wirkende orangefarbene Augen verpasste. Einige Arbeiten aus seiner Death and Desaster Serie fertigte er in modischen Farben wie Lavendel oder Rosa an, wodurch eine ganz andere Wirkung als bei seinen schwarzweißen Bildern entsteht. Die Farbe definiert die Identität des Bildes, sie ist seine DNA.
Das Interview mit Birgit Jensen führte Dirk Lehr.
Birgit, 30 years ago Andy Warhol died. He established screen-printing as an art form. How does Warhol influence your work?
Like Warhol, I use a screen to bring a motif to the canvas. Both of us use a technical process that brings their own aesthetics into the picture. In the 1960s this was revolutionary. The art was dominated by abstract expressionism, an elitist method of painting. Furthermore craftsmanship was increasingly being viewed as a low-level activity. Warhol banished the visibly handmade from the picture. His works seem immaculate and distant. He wanted to disappear behind the picture. For me it’s more about the aesthetic quality of screen-printing. On the one hand, a homogeneous, brilliant colour application on the canvas is made possible, on the other hand, the process gives me so much room for manoeuvre that one asks, how was this made? Like Warhol, I do not want to see the style of a brush on the canvas.
But you are still a painter?
Yes of course. The act of painting takes place for me not with the brush, but with the squeegee and in the prepress, for example when producing the films and when applying the colour through the screen on the canvas.
What are the differences between Warhol's work and yours?
Warhol, with his massive reproductions, questioned the original and its "value". He also used screen-printing to make art accessible to the masses, similar to how consumer goods were in his time. The possibility of duplication was a blessing and an expression of democracy. The question of the original is quite different today. Digitalisation, perfection and professionalization of reproduction techniques have led to a reversal. Digital development has changed our view. We look exactly in the opposite direction to the technical achievements of the 60s. We are more critical, on the other hand we can do much more, much faster, we are connected to the web, we have a huge pool of possibilities. For me it is therefore a necessity to remove the perfection of the technical reproduction.
How does this manifest itself in your work?
I do not use screen-printing as an instrument of reproduction. Each picture is unique. It also shows that the image is ultimately the result of a painterly act. The subtle aesthetics of my work is important to me. For example the painted layers are laid one on top of the other, creating a depth of image. There are different surface qualities. My pictures are not technical screen prints or graphic art. They deal with the problems and questions of painting.
Printing grids often generate gradations in the colour. Print pattern is still seen in roughly printed illustrations in daily newspapers, but you cannot see the halftone dots with the naked eye because of their tiny size. In my pictures, however, they are huge. They are not only there to model the colour, but also to illustrate the transformation that the image undergoes. They are evidence of the concept which gives rise to my confrontation with painting.
What role does colour play?
A very crucial role. Colour is a supporting element in the composition. It determines the "key" of the image. Colour is not just material but also emotion. Warhol also used the psychological effect of colours and colour compositions. Thus, he controlled the attractiveness of the image for the viewer. Just think of his portraits of prominent persons. He could manipulate the content with the colour combination – for example the portrait of Richard Nixon, whom he gave the most toxic-looking orange eyes. He produced some of his death and disaster series in fashionable colours such as lavender or pink, creating a completely different effect than his black-and-white pictures. The colour defines the identity of the image, it is its DNA.
The interview with Birgit Jensen was conducted by Dirk Lehr.